Die (zarteste) Versuchung

Predigt über Jakobus 1,12-18

Andreas Malessa schreibt in seinem satirischen frommdeutschen Wörterbuch „Freudigkeit und Glaubensfrucht" zu dem Stichwort „Versuchung": „Für Evangelikale sind meist hübsche Frauen und Männer sowie Genussmittel und Luxusgegenstände eine. Dabei sind Reichtum, Geiz, Anpassung an ungerechte Strukturen und Gesetzlichkeit auch eine."

In dem Bibelabschnitt, den wir heute lesen, werden keine konkreten Beispiele für Versuchung genannt. Er enthält grundsätzliche Überlegungen:

12 Freuen darf sich, wer auf die Probe gestellt wird und sie besteht; denn Gott wird ihm den Siegeskranz geben, das ewige Leben, das er allen versprochen hat, die ihn lieben.

Einer der erfolgreichsten Werbeslogans ist der mit der „zartesten Versuchung, seit es ... gibt." Werbung arbeitet mit Versuchung, Verlockung: Freuen darfst du dich, glücklich wirst du, wenn du der Versuchung erliegst - ob es nun die zarteste oder die smarteste oder die neueste ist. Jakobus sagt ebenfalls: Freuen darfst du dich, glücklich wirst du - allerdings wenn du der Versuchung widerstehst. Denn die Versuchungen, um die es hier geht, die sind alles andere als zart. Trotzdem spricht Jakobus von Freude. Das überrascht. Man hätte eher eine Warnung erwartet: Passt auf, dass ihr nicht der Versuchung unterliegt!

Vers 12 enthält eine wichtige Information: Der Versuchung kann widerstanden werden. Sie ist kein Schicksal, keine Naturgegebenheit. Unser Glaube ist ständig Proben ausgesetzt. Die permanente Probe ist die „Predigt des Alltags" - was ich täglich erleben hinterfragt alles, was ich glaube: von dem Eindruck, dass Menschen, die nicht an Gott glauben, besser durch's Leben kommen, bis zu der Tatsache, dass ich nicht verstehe, warum Gott so und nicht anders handelt. Glaube steht auf der Probe - und es ist möglich, diese Proben zu bestehen und als Sieger durch's Ziel zu gehen! Es ist nicht zwangsläufig so, dass ich den Glauben verlieren muss, weil alle anderen Einflüsse stärker sind. Dabei kommt es auf die Liebe zu Gott an. Diese Liebe haben wir nicht von Natur aus in uns. Von Natur aus lieben wir uns erstmal selber. Deshalb wird Versuchung immer versuchen(!) uns von Gottes Hand zu trennen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, uns unabhängig von Gott zu machen. Probe bestehen heißt: Zu dieser Versuchung „Nein!" zu sagen. Eine der zentralen Aufgaben der Gemeinde besteht darin, dass Menschen Möglichkeiten finden, um ihre Liebe zu Gott frisch zu halten und auszudrücken und erneuern zu können.

13 Wenn ein Mensch in Versuchung gerät, soll er nicht sagen: »Gott hat mich in Versuchung geführt.« So wie Gott nicht zum Bösen verführt werden kann, so verführt er auch niemand dazu.

Überrascht Sie das? Da lehrt uns Jesus im „Vater unser" zu beten: „...und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen", und dann schreibt Jakobus: Gott verführt überhaupt niemanden. Da stellt sich doch die Frage: Wer denn dann? Wo kommen denn dann die Versuchungen her? Wo kommt denn dann das Böse her? Jakobus beantwortet diese Frage nicht. Er spekuliert und philosophiert auch nicht weiter an dieser Frage herum. Ihm geht es um etwas anderes:

14 Es ist die eigene Begehrlichkeit, die den Menschen ködert und einfängt. 15 Wenn jemand ihr nachgibt, wird die Begehrlichkeit gleichsam schwanger und gebiert die Sünde. Und wenn die Sünde ausgewachsen ist, bringt sie den Tod hervor.

Die Frage: „Wo kommt das Böse her?" kann nämlich ein Ablenkungsmanöver sein. Ich kann über diese Frage mein Leben lang philosophieren - ohne zu merken, dass das Böse aus mir selbst kommt. Das will Jakobus verhindern. Deshalb spricht er uns auf unsere Verantwortung an. Wenn etwas Schlimmes passiert, wird oft gefragt: Warum hat Gott das zugelassen? Diese Frage kann sehr brennend sein. Sie kann aber auch ein Ablenkungsmanöver sein. Ein Autofahrer fährt trotz roter Ampel auf die Kreuzung. Es kracht. Der Autofahrer steigt aus und belegt einen Polizisten, der auf dem Fußweg steht: „Wie konnten Sie das denn zulassen?" So verhalten sich Menschen gegenüber Gott. Der Polizist kann doch nichts dafür, dass einer bei Rot über die Kreuzung fährt. Und Gott kann nichts dafür, dass wir seine guten Gebote und Lebensordnungen nicht beachten. Die einzige angemessene Frage wäre: Warum hat Gott den Menschen zugelassen? Denn der ist für sein Tun und Lassen selbst verantwortlich - eben auch dafür, ob er einer Versuchung erliegt oder widersteht. Jakobus geht es nicht darum, die Frage nach dem Woher des Bösen ein für allemal zu klären. Er will auch die Frage nach Gottes Gerechtigkeit (Warum hat Gott das zugelassen?) nicht erschöpfend beantworten. Ihm geht es darum, dass wir unsere Verantwortung erkennen, dass wir unsere Schuld und unser Versagen nicht Gott oder dem Teufel oder sonstwem in die Schuhe schieben.

16 Meine lieben Brüder und Schwestern, lasst euch nicht irreführen! 17 Lauter gute Gaben, nur vollkommene Gaben kommen von oben, von dem Schöpfer der Gestirne (Vater der Lichter). Bei ihm gibt es kein Zu- und Abnehmen des Lichtes und keine Verfinsterung.

Gott ist nicht wie eine Münze, die zwei Seiten hat: eine helle und eine dunkle - und immer wenn die helle oben liegt, passiert Gutes, und immer wenn die dunkle oben liegt, passiert Schlimmes. Gott hat nicht zwei Gesichter. Gott ist ganz Licht. Gott meint es gut mit uns. Daher das Sprichwort: „Alles Gute kommt von oben." Wir merken das an einer Stelle ganz deutlich:

18 Aus seinem freien Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit, durch die Gute Nachricht, ein neues Leben geschenkt. So sind wir gleichsam die Erstgeborenen seiner neuen Schöpfung.

Die Frage „Warum hat Gott das zugelassen?" kann ein Ablenkungsmanöver von unserer eigenen Verantwortung sein. Sie kann aber auch eine sehr ernsthafte und bedrängende Frage sein, eine existentielle Frage. Die Frage nach dem „Warum" ist in die Vergangenheit gerichtet. Es kann ein erheblicher Fortschritt sein, wenn jemand diese Frage neu formuliert: „Wozu hat Gott das zugelassen?" Dann ist die Frage auf einmal nach vorn gerichtet, in die Zukunft: „Gott, ich verstehe nicht, warum das passiert ist. Ich weiß nicht, warum mein Glaube dieser Probe, dieser Prüfung unterzogen wurde. Ich will aber darauf vertrauen, dass es nicht sinnlos war, auch wenn ich im Moment keinen Sinn sehe und mir auch beim besten Willen keinen Sinn vorstellen kann. Zeige mir bitte, was du jetzt mit mir vorhast." Da ändert sich die Blickrichtung - wie bei Jakobus.

Dieser Abschnitt steht in der Gute Nachricht Bibel unter der Überschrift: „Woher die Versuchungen kommen". Diese Frage hat Jakobus nicht vollkommen beantwortet. Da bleiben Fragen und vielleicht auch Zweifel. Jetzt heißt sein Thema: Wohin die Versuchungen führen. Da ist seine Antwort eindeutig: An das Ziel, das Gott mit uns hat. Dieses Ziel ist ein neues Leben, sind neue Menschen, die nach Gottes Maßstäben leben, die allen Versuchungen fest entgegensehen und die die erstaunliche Erfahrung machen, dass der Glaube an den Proben, auf die er gestellt wird, nicht zerbrechen muss sondern durch diese Proben sogar wachsen kann.

Eine Legende aus der Sahara erzählt, dass ein missgünstiger Mann in einer Oase eine besonders schöne junge Palme heranwachsen sah. Da er von Neid auf alles Junge, Hoffnungsvolle erfüllt war, wollte er die schöne Palme verderben. Er nahm einen schweren Stein und legte ihn mitten auf die junge Krone. Der junge Baum schüttelte sich, aber es gelang ihm nicht, den Stein abzuwerfen. Da entschloss er sich, mit der Last zu leben. Er grub seine Wurzeln tiefer in die Erde, so dass die Äste kräftig genug wurden, den schweren Stein zu tragen.

Nach Jahren kam der Mann zurück, um sich an dem verkrüppelten Baum zu erfreuen. Aber er suchte ihn vergebens. Die Palme, inzwischen zur größten und stärksten der ganzen Oase herangewachsen, sagte zu dem Mann: „Ich muss dir danken, deine Last hat mich stark gemacht!"

Was auch geschieht, das eine wissen wir: Für die, die Gott lieben, muss alles zu ihrem Heil dienen. (Römer 8,28)

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